Was ist bloss mit Michael Koch passiert? Viele kennen ihn als heissen Rekruten, Antonio Carrera, in «Achtung fertig, Charlie!» (CH 2013). Jetzt hat er für «Drii Winter» Buch und Regie geführt und das Resultat ist überwältigend.
Ruhig und selig steigen die Nebelstreifen über die Urner Berge bis zu den Felsen der Anfangs- und Schlusseinstellungen. Langsam versinken die Passstrasse und der ferne See in den dicken Nebel. Ein Chor singt: “I müess jetzt ga, oh weh, oh weh” – Ich muss jetzt gehen, Oh weh.

Anna, die Wirtstochter schenkt Bier aus. In der Wirtschaft trinken Bergbauern ein Bier und reden über den Neuen: Marco, der aus dem Flachland, in den sich Anna verschossen hat und der aussieht wie ein Ochse und drinnen sensibel ist, wie ein Kälbchen. Nur schweren Herzens lässt er seine geliebte Kuh Olga und später Frieda schlachten, als sie krank werden. Er selber ist auch krank und zwar zweifach, aber mehr will ich nicht verraten.
Marco und Anna heiraten und so wird sein Leidensweg auch Annas und ihrer kleinen Tochter Julia. Und in der sagenhaften Ruhe der Urner Berge, begleitet durch wiederholte Chorgesang-Einlagen auf Urnerdütsch, passiert das Unsägliche.
Von psychologischer Hilfe, wie sie in der Stadt angeboten wird, will Anna nichts wissen. Sie packt das schon selber und zum Schluss scheint ihre Seelenlandschaft so brüchig und aufgewühlt wie die Alpennordseite mit ihren steilen Hängen und spitzen Berggipfeln.

Der bildgewaltige Film lässt sich Zeit: 2 Stunden und 16 Minuten. Gemächlich und unaufgeregt plätschert dieser Bilder- und Tonstrom dahin. Im Dorf scheint die Zeit angehalten worden zu sein. Nur an den Autos und der Musik – der Techno-Hit «What is love?» wird an der Hochzeit und später im Auto gespielt – sind ein paar Zeichen der Post-Moderne zu erkennen. Die Traditionen, der Glaube und die Ehrfurcht vor der Naturgewalt scheinen noch tief verwurzelt in den Köpfen der Menschen. Koch zeigt das fast dokumentarisch: Heuballen werden auf einem Draht von einer Seite des Tals auf die andere befördert. Das ist spektakulär, weil es archaisch ist und weil man in der hochentwickelten Schweiz vielleicht was anderes erwarten würde. Die Arbeit ist hart und geht in die Knochen – heute wie 1880, als Johanna Spyri «Heidi» publizierte.